Roger Willemsen: F.K. Waechter

»Sie haben schöne Hände«, sagte ich. Er blickte sie an, als habe er sie eine Weile nicht gesehen. »Sie werden wohl vom Zeichnen so«, erwiderte er leise. Das Frontale meiner Bemerkung war ihm wohl peinlich. Doch andererseits war ihm so manches direkte Wort zur eigenen Person peinlich, war er doch eher ein Von-sich-weg-Weiser, ein Andeuter, ein Räume-Öffner, ein Diskreter, irgendwie Verwunschener, anders gesagt, ein Wunderbarer. Sein Zögern vor dem Wort, seine Neigung, noch im eigenen Erscheinen zu verschwinden, sie haben ihn um den öffentlichen Effekt gebracht, nicht um die Resonanz. Denn diese besagt auch: Was Komik ist, was sie sein kann, schwingt anders, seit Friedrich Karl Waechter sein Werk hinterlassen hat.

Ausgerechnet er, dieser Dezente, dem nichts Offensives und Kämpferisches eigen war, ist ein Befreier gewesen, hat Last von Kinderschultern genommen, die Macht von Autoritäten gebrochen, Amt, Vorschrift, Schuld und Druck in einem Lächeln aufgelöst und verflüchtigt. Wenn es einen humorbegabten Künstler der letzten Jahrhunderthälfte gibt, an den man mit Dankbarkeit denkt, dann ist er es. Nicht allein eine eigene Freiheit hat er aus den Lesern seiner Bildergeschichten, er hat sogar den Witz selbst befreit, hat ihn aufgespürt, wo man ihn nicht ahnte. Eben das aber gelang nur den Klassikern des Komischen: das Verständnis des Komischen selbst zu erweitern.

Natürlich wusste er um diese über die Grenzen seiner Zeichnungen hinausgreifende Kraft seines Werks. Doch waren seine Erklärungen bescheidener als seine Leistungen. So beobachtete er, etwas erscheine bei ihm vielleicht im Gewande des Cartoons, doch sei sein Auftritt traurig … Oder er befand mit Blick auf das Abseitige, Grobe, Geschmacklose in seinem Werk: »Ich finde es wichtig, auch diese Subbereiche für die Kunst zu erschließen.« Da war es, das Wort, in dem die Deutungsvielfalt dieses Werks ihren Begriff finden konnte: die Kunst, und als ich nachfragte, brachte er mühevoll und nach einigem Nachdenken fast schamhaft hervor: »Ich habe allmählich keine Schwierigkeiten damit, mich als Künstler zu bezeichnen.«

Wer, 1937 geboren, seine Kindheit im Weichselschwemmland verbringt, dessen frühe innere Bilder und Erinnerungen sind wohl notwendig belastet mit Drohung, Angst, mit Einschüchterung und Waffen. Es gibt trotzdem diese Geschichte vom kleinen Friedrich Karl Waechter, der sich in der Straßenbahn erhebt und laut für die Fahrgäste singt. Wenn er davon erzählte, sah er diesen Kleinen, der er gewesen war, wie einen Fremden an. Dann war die Einschulung gekommen, und »schon vom zweiten Schultag an«, sagte er, wäre etwas Derartiges »undenkbar gewesen«. Als sich die Autoritäten erhoben, duckte sich das Kind in die Tiefe seiner Empfindlichkeit.

Waechter ist drei Jahre alt, als die Nachricht eintrifft, der Vater sei im Krieg gefallen. Die Mutter weint, der Junge aber denkt: »Ist doch nicht so schlimm, ich bin doch noch da.« Kinder wie er werden in seinen Zeichnungen wiederkehren, Mütter wie die seine auch. Sie werden ihn beim Sündigen erwischen oder mit ihm Fußball spielen wollen. Doch andererseits war Waechter mit dem Eintritt in die Schule den autoritären Lehrern nun erst recht unterworfen, weil doch der Vater fehlte. Als Schüler sei er »angepasst« gewesen, sagte er, sei in Traumbereiche geflohen, habe Mühe gehabt zu reden. In der Konsequenz werden die Folgeschäden der autoritären Erziehung zur Hauptquelle seiner Einfälle, einer Quelle, die niemals versiegen wird. Wie beglückend, wie traurig. Waechter wird als Stilparodist beginnen, ehe er daraus seinen eigenen Stil gewinnt, wird autoritäre Klassiker umfunktionieren, wird Denkmäler, Lehrer, Bürger, Amtsinhaber, Beamte, Machtmänner schwach, klein, lächerlich oder grotesk machen, er wird ringen, dauernd ringen und rückblickend sagen: »Erst mit vierzig fiel der Krampf der frühen Jahre von mir ab.«

Frank Zappa befand einmal: »Je langweiliger ein Kind ist, desto mehr Komplimente erhalten die Eltern.« Arme Kinder, seit Jahrhunderten Opfer pädagogischer Schriften und Laboratorien, sollen sie nebenher immer braver, leistungsfähiger und unauffälliger werden. Wer wollte sich gegen die alltäglichen disziplinarischen Maßnahmen, für ihre Revolte, ihre ungezügelte Fantasietätigkeit, ihre anarchische Unbotmäßigkeit starkmachen? F.K. Waechter war dieser Freigeist, der zeichnend, schreibend und theaterdichtend an den Geist des wilden Kindes appelliert und ihm Ausdruck gegeben hat, stellte er doch auch dem Grundbuch der Strafpädagogik seinen »Anti-Struwwelpeter« entgegen, damit er über seine Vorlage triumphiere!

Der Vater ist gefallen, der Krieg ist vorbei, bald wird die Pubertät einsetzen. Die Mädchen in der Schule erwachen auch. Es ist die Zeit, in der die meisten das meiste nicht sagen können, aber es sehen, und was sie nicht sehen, vermuten. Diese Etappe trägt bei Waechter die Überschrift: »Hinter der Scheune zeichne ich mit Ilse Bork Vermutungen in den Sand, wie es beim andern zwischen den Beinen aussieht«. Ja, zu den »Autoritäten« gehörte auch die bürgerliche Vorstellung von dem, was »anständig« war. Der Raum der Freiheit war also das Unanständige. Es lebe hoch!

Im Zeichnen kann man die Welt des Verbotenen aufsuchen und obendrein die Schuld bearbeiten, die sich in diesen Besuchen einstellt. Der erste Zeichenauftrag erreichte Waechter entsprechend durch einen Mitschüler: Eine nackte Frau sollte er zeichnen. Das tat er, ohne je eine gesehen zu haben. Klagen kamen keine. So wird auch die Masturbationsvorlage durch das Werk geistern, als Statthalter eines getretenen Genres gewissermaßen, doch auch als eine Form, die Welt zu suchen, und wenn nicht die Welt, so doch die Erregung.

Viele Jahre später hat sich Waechter Kindern als zeichnender Roboter angeboten, bereit, jedes Sujet aufs Papier zu bringen, das sie verlangten. Was sie verlangten, war oft sadistisch oder pornografisch, jedenfalls direkter, als es bei Erwachsenen der Fall gewesen wäre. »Die Fantasie hat viel Entlastendes, deshalb sind Kinderfantasien grausam«, konnte er folgern, wusste er doch zu gut, wovon er sprach und zeichnete.

Seinen ersten heftigen Liebeskummer hatte er mit vierzehn weggesteckt – doch wohin? Aus einer Sphäre, die nicht altert, dringen die Chimären unaufhörlich ins Werk. Das verwundete Kind, der gekränkte Halbwüchsige, sie sind es immer wieder, die den Zeichnungen ihren Geist einhauchen. In solchen Enttäuschungen und Verletzungen hat Waechter selbst später eine Hauptquelle der Komik in seinem Werk erkannt. Die Peinlichen, die Errötenden, die mit den klaren Absichten und dem zartem Gewissen bevölkern sein Werk. Nimmt man sie zusammen mit den Rebellen gegen das Autoritäre, so versteht man, was sich zu Pardon-Zeiten da so rauschhaft entlud. Man saß in der Kneipe, warf sich die Bälle der Einfälle zu und konnte nicht mal pinkeln gehen, so schnell kamen die Ideen. Zu jener Zeit, sagte Waechter Anfang der Neunziger rückblickend, »standen Komik und Aufklärung in einer Allianz, jetzt ist nichts weniger komisch als Aufklärung«.

In den Hoch-Zeiten der öffentlichen Aufmerksamkeit für Waechters Arbeiten war er schließlich der Satire entwachsen und öffnete sich dem Verpönten, dem Zarten, Trivialen, Flachen, Verstiegenen, er ließ sich durch seine Zeichnungen treiben wie durch ein Medium, um sich überraschen zu lassen. Sicher, er schätzte es, Liebe für etwas zu bekommen, für das er früher Ohrfeigen bezogen hatte. Aber eigentlich ist Waechters Humor vor allem eine Haltung, und das Nicht-Imitierbare an seinem Werk ist verwachsen mit dem, was er war. Dieses Eigene und Charaktervolle ist eine Folge seiner Art, in der Welt zu sein. Dieses Werk ist nicht artistisch, es verlangte zu leben, zu denken wie er, befreit, aber
ängstlich, kühn, aber voller Respekt und mit Rührung vor den abgelegten Ängsten. Eben das ist aber nicht lernbar, und es existiert bei Waechter vor seinen schier unbegrenzten malerischen, grafischen, zeichnerischen Möglichkeiten und Techniken, vor seiner Fähigkeit, alle Genregrenzen durchlässig zu machen.

Denn was soll das sein: »Karikatur«, »Cartoon«, »Witzzeichnung«? Was soll das sein: »witzig« und »aberwitzig«, »satirisch« und »meisterhaft geistreich«, »selbstironisch« und »desillusionierend«? Alle Begriffe schlottern als schlecht sitzende Anzüge um die einzelnen Blätter. Und warum wandert ausgerechnet das Wort »elegant« durch alle Texte über ihn, hat er doch nichts von der Grazie des Adels, des Bürgertums, den Dandys, des Designs, der Mode, der Raubkatze oder der Karosse eines Oldtimers. Kann einer »elegant« genannt werden, den auch seine Erfahrungen als Gebrauchsgrafiker (in dem keine Spur von Waechter steckte) dazu führten, dreckig sein zu wollen? Kann einer »elegant« sein, der so sehr die eigene Kindwerdung in der Schweinigelei feierte?

Und auf welche Weise ist er komisch? Vielleicht, indem er aus den Mittelteilen von Geschichten ein einziges Bild herausreißt und im Fluss isoliert? In diesem steht der Betrachter, schaut zurück, schaut nach vorn, fühlt sich mitten in der Handlung, über die die Geschichte gerade hinwegpest, und sagt vielleicht: »Mir wird ganz komisch.«

Waechter nahm Einfälle aus dem Traum, und wenn Erschreckendes von dort komme, sagte er, sei er fasziniert. Er nahm sie aus der Stille, er, der statt der Worte lieber etwas Vieldeutigeres fand, Bilder, Situationen. Dass er je etwas nicht Zweideutiges, nicht Hintergründiges gezeichnet haben soll, bezweifle ich, und übrigens war gerade, weil er künstlerisch so gerne in der Behauptung lebte, der Film sei nicht sein Metier, verlor doch seine Sprache dort, wie er selbst es sah, »Charme und Leichtigkeit«.

Waechter suchte, auch das vereinzelt ihn, die Wirkung, statt den Effekt. »Ist der zeichnerische Aufwand klein, kann die Pointe besser funktionieren«, erklärte er, und weil man in seinen Blättern immer das Gefühl hat, selbst die Pointe sei ihm zu viel Effekt, deshalb scheint er sie gerne zurücknehmen zu wollen in ein Milieu des Komischen ohne Katharsis. Wer sonst hätte dies gezeichnet: »Unter Drogeneinfluss gebügeltes Hemd«, »Die elf bekanntesten Stellungen bei der Selbstbefriedigung des Mannes«, »Die Gratulation zur bestandenen Falknerprüfung«, »Eule im Norwegerpullover«, »Eingemachte Flusspferde«?

Waechter ist trotz der losen Zugehörigkeit zur Vereinigung, die man als »Neue Frankfurter Schule« bezeichnete, ein Einsamer und auf künstlerischem Boden unvereinigt geblieben. »Die nach mir erfolgreich waren, hatten viel Ähnlichkeit mit denen, die vor mir komisch waren, und von denen ich mich abgesetzt hatte«, sagte er, der aus der Schule Gefallene, den ohnehin niemand hätte wahrhaft imitieren können. Aus der Einsamkeit des Zeichners tauchte er periodisch in die Theaterarbeit ein und ging dann zahllose Male unerkannt in seine Theaterinszenierungen, um etwas zu sehen, das er als Zeichner nur vage kannte: die Wirkung. Dann kehrte er zurück zum Zeichnen, auch um nachzusehen, was sich in dieser Region seines Selbst inzwischen versammelt hatte. Seine Rubriken hießen jetzt »Stilles Blatt« oder »Rückseite«, und mit Skrupel vor der Kunst, vor der Bedeutung eines Werks, der Richtigkeit einer Linie kultivierte er weiter das Zeichnen als ein Element des Suchens, eines, in dem man in die Irre gehen können und sich auch überraschen lassen muss.

Einzigartiger, wundersamer F.K. Waechter! Ich sehe ihn sitzen, den Kopf in die Linke gelegt, dem Strich nachschauend. Kein Strich gleicht seinem, kein Witz ist seinem verwechselbar, dem dahingetuschten tiefgründigen, der das Derbe mit dem Zarten versöhnt und nie belanglos ist. Kein Text klingt wie seine Texte, die mit Finten und Volten und lauter Wendungen ins Abseitige immer neu verblüffen und immer anders verstanden werden wollen. Wer melancholisch ist, den beschenkt seine Wehmut, wer aufklärt, den befreit er durch seinen leisen, weisen, manchmal abgeklärten Humor, der tiefblickt und so explizit sein kann wie verschlüsselt. F.K. Waechter ist ein Dichter, wie es so keiner mit ihm war. Seit Jahren überragte er seine Zeitgenossen und war dabei doch fast unsichtbar. Das ist schmerzlich und passt doch zu ihm. Er hatte nicht schöne Hände allein, er war wohl, was man einen schönen Menschen nennt.