Wir können noch viel zusammen machen

Im Herbst 2008 war ich noch einmal im Atelier von F.K. Waechter. Es ist kein Vergnügen, die leere Arbeitsstelle eines großen Künstlers zu besuchen, aber es gab einen zwingenden Grund: Bevor sie nach Hannover gebracht wurden, waren hier noch einmal alle Zeichnungen versammelt, in einer Unzahl von Mappen aller Formate, die das gesamte Bilderbuch- und Cartoonschaffen – reichlich durchsetzt mit Ent- und Verworfenem- enthalten. Ein ganzes Zeichnerleben in einem Dachstudio.

Vieles war in der großen Frankfurter Schau von 2002 zu sehen gewesen und einiges auch fünf Jahre später am gleichen Ort, im Historischen Museum der Stadt, als 2007 zum siebzigsten Geburtstag die postum ausgerichtete Präsentation Letzte Bilder gezeigt wurde. Es war damals wie jetzt beim Atelierbesuch: Ich war beim Betrachten der Bilder glücklich, aber nicht erfreut. Worüber auch? Darüber, dass da letzte Bilder von F.K. Waechter ausgestellt wurden? Ich hätte diese Zeichnungen, Montagen und Illustrationen lieber als mittlere Bilder gesehen, denn dann wäre Waechter noch am Leben, hätte womöglich noch zwei, drei Jahrzehnte Arbeit vor sich gehabt und lesen können, was es über ihn zu sagen gibt.
Siebzig Jahre ehrte man mit der Frankfurter Ausstellung, zu siebenundsechzig hatte es aber nur gereicht. Ich verstand natürlich, dass man im Historischen Museum den runden Geburtstag feierte; so gehört es sich ja für eine Stadt, die einen großen Sohn hat, auch wenn F.K. Waechter eher ein Adoptivsohn war. Doch zwei Jahre nach seinem Tod war damals die Traurigkeit darüber nicht gewichen, und sie ist es heute noch nicht – auch nicht durch die Vorfreude auf die nun im Wilhelm-Busch-Museum angesetzte nächste große Ausstellung, die uns zwar Gelegenheit gibt, etliche Werke des Künstlers im Original zu sehen, aber mit denen wir auch alleine sind, weil ihn das Leben im Stich gelassen hat.
Vor vierunddreißig Jahren, zu Waechters achtunddreißigstem Geburtstag, war es eine andere große irdische Macht, die ihn im Stich gelassen hat. An jenem 3. November 1975 notierte sein Kollege und Freund F.W. Bernstein: »Fritz Waechters Geburtstag. Und Überreichung des Kinderbuchpreises durch den Bundespräsidenten. Kommt aber nix in der Tagesschau.« – Wenn wir heute beklagen, dass das Fernsehprogramm wirklich immer schlechter wird, sollten wir also lieber den Mund halten; es war schon immer mies.

Im zunehmendem Alter erschien mir das zweihändige Zeichnen immer notwendiger, 2003

Nachrichtenredakteure, so lernen wir daraus, hatten noch nie einen Blick für das, was wirklich wichtig ist: Man möchte gar nicht wissen, was damals die Schlagzeilen gefüllt hat. Trotzdem habe ich es überprüft: Der amerikanische Verteidigungsminister Schlesinger wurde entlassen, Helmut Kohl bemühte sich um Vermittlung in einem Streit mit der Volksrepublik Polen, und die Sowjetunion räumte ein, dass sie am angolanischen Bürgerkrieg durch Waffenhilfe beteiligt sei. Nun, was könnte man von der Politik anderes erwarten als solche Nachrichten? Aber hat wenigstens das Feuilleton F.K. Waechter damals die Ehre erwiesen? Am Tage nach der Preisverleihung keine Spur davon in meiner Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen. Und am Tage selbst beschäftigte sich deren Kulturteil lieber mit dem Thema Der französische Pornofilm. Kinderbücher sind dagegen natürlich nur Kinderkram.

Denkmalsentwurf von F.K. Waechter, 2005

Kein Wunder angesichts dieser publizistischen Leistung, dass gleichfalls die Kunstkritiker, zu denen ja auch ich mich zähle, nur wenig später als die Fernsehschaffenden als Stümper entlarvt wurden – natürlich wieder von F.W. Bernstein und erneut am Beispiel des Umgangs mit Waechter. Bernstein tat meine Zunft 1983 in seinem Prospekttext zu einer Münchner Galerieausstellung mit Waechter-Werken kurzerhand gesammelt als »Versager« ab: »Verblendet und verschlafen haben sie ihm in Kopf und Wohnung gespinxt – aber kaum einer hat seine Zeichnungen genauer angesehen. Welch brummende Torheit!« Eigentlich sollten wir Rezensenten uns freuen – Beste im Brummen! - aber trotzdem …
Das ist lange her, und selbstverständlich ist alles besser geworden. Ich will zwar nicht behaupten, dass ich betreffs F.K. Waechter klüger wäre, als es die gescholtenen Kollegen vor sechsundzwanzig Jahren waren; ich bin jedoch auf unglückliche Weise glücklicher dran. Wer in der Stadt der Neuen Frankfurter Schule lebt, der wird als Frankfurter Schüler alt. Wie wollte man diesen Komik-, Grafik- und, ja, Kritik-Veteranen denn jemals das Wasser reichen?

Meisterschaft signalisiert doch immer: Halte Abstand. In die Wohnung spinxen? Das Domizil Waechters in der Oberlindau war viel zu nah an dem meinen, als dass ich mir die Dreistigkeit erlaubt hätte, ihn dort zu behelligen; schließlich musste ich damit rechnen, schon am nächsten Tag in der Schlange vor dem Paketschalter im Grüneburgweg, vor den Regalen der Autorenbuchhandlung am Reuterweg oder einfach auf den Bürgersteigen all der anderen Frankfurter Wege (Bornwiesen-, Gärtner- oder Oeder) im Niemandsland zwischen Nord- und Westend wieder auf das Objekt meiner Neugier zu treffen, das nicht nur künstlerisch unerreichbar viel größer war als ich, sondern auch körperlich, weshalb ich einer Kontroverse in gleich zweierlei Hinsicht feige hätte ausweichen müssen. Zudem gebot Waechter in den Jahren, die ich ihn kenne, über jene strahlend silberne Haarfülle, die auf der Straße wie ein Leuchtfeuer erschien. Ich bin der dadurch gekennzeichneten Klippe folglich brav aus dem Weg gegangen. Und in den Kopf gucken? Ach, Bernstein! Wie denn durch diese dichten grauen Locken hindurch kommen? Also blieb mir als Rezensent gar nichts anderes übrig als der Blick aufs Blatt. Bevor ich mehr gewagt hatte, war Waechter schon tot.

Was, frage ich dich, hat deine Familie gegen unsere Liebe?, 2004

Und seinen Tod vermeldete nun die Tagesschau. Als ich dabei zusah, an jenem verfluchten Freitag vor vier Jahren, verlor ich meinen Respekt vor der Weisheit der Neuen Frankfurter Schule, denn Bernsteins Verdammung des Fernsehens war nach lediglich drei Jahrzehnten bereits widerlegt, und so durfte ich als elender Skribent hoffen, dass spätestens 2013, also dreißig Jahre nach dem anderen Bannspruch, auch das Urteil des zürnenden Künstlers über die Kunstkritik obsolet geworden sein würde. Dass ich allerdings jetzt sogar vier Jahre vor der Zeit hier im Katalog das Wort erhalte, könnte sich noch als Fehler herausstellen. Dann möge Herr Weigle (alias F.W. Bernstein) triumphieren.

Also frischauf und die Zeichnungen genauer angesehen, wie Weigle es will. Nehmen wir etwa jene fünf, die kurz vor F.K. Waechters Tod noch in der Titanic erschienen sind – mehr als ein Vierteljahrhundert, nachdem die erste Ausgabe des endgültigen Satiremagazins mit einer Waechter-Zeichnung auf dem Titel erschienen war – als ungewollt letzter Gruß an eine Leserschaft, die mit dem Stillen Blatt und natürlich auch mit der Rückseite jenes Stillen Blattes aufgewachsen ist. Waechters letzte Witze waren sie betitelt, und die Zählung ging im Countdown von V auf I herunter.

So erschien der fünfte letzte Witz 2004 im April-Heft der Titanic, der erste dagegen erst im März-Heft 2005. Es war eine Wiederkehr mit Furor, ein Fest der Formen und bisweilen auch der Farben wie im zweiten (also dem vorletzten) letzten Witz, wo eine wohl situierte Dame im Garten des Taunus-Ferienheims ihren Gatten zum Essen ruft; doch der schwebt mit einem fetten Regenwurm im Mund hoch im Baum über einem Vogelnest, in dem eine unbekleidete junge Frau kauert.

Oder ein ganz typisches Waechter-Blatt, das mittlere: 3 Knaben versuchen, einen hungrigen Beamten zu erheitern. Diese Knaben sind drei kleine tanzende Schweinchen, die bereits schwitzen wie ein Schweinebraten, denn der Beamte ist ein Löwe, und dessen Schreibtisch ist schon gedeckt für den Festschmaus. Der Gag ist gut, doch noch besser ist, dass Waechter den Löwen als Chimäre gezeichnet hat: Auf einem bieder gekleideten Beamtenkörper, so schmächtig, dass er unter der Mähne des Raubtiers kaum zu sehen ist, sitzt der Löwenkopf, und dieses Motiv ist – wie könnte es anders sein? – natürlich nicht nur rasend komisch, sondern auch ein Meisterstück des Tierporträts.

Ich will nicht alle letzten Witze durchgehen, denn sonst haben die Leser selbst nichts mehr zu lachen, um ihre Trauer über den toten Zeichner zu verbrämen. Einer aber noch: der vierte, mit dem Titel Im zunehmenden Alter erschien mir das zweihändige Zeichnen immer notwendiger. Wie Waechter diese Erkenntnis skizziert, das muss man sich selbst ansehen. Ich möchte nur auf den tiefen Ernst dieses Satzes hinweisen, denn in seiner letzten Zeit arbeitete der kranke Waechter wie ein Besessener.

Und so musste man den allerletzten letzten Witz, den Denkmalsentwurf von F.K. Waechter (Noch zur Realisierung frei!) zum Zeitpunkt seiner Publikation als Kommentar auf die eigene Situation, auf die Schrecken der Behandlung verstehen – wie wir es aus den vielfältigen Variationen zum Erbrechen im Werk des gleichfalls krebsbehandelten Bernd Pfarr ja kennen. Wer hinschaut, das möge sicher sein: Ihm wird das Lachen im Halse stecken bleiben.

Wer wusste, wie es um Waechter stand, begriff die Geste der fünf letzten Witze, dieser Liebes- und Lebenserklärung, die allerdings nur eine in einem ganzen Strauß von solchen Liebes- und Lebenserklärungen war, die der Zeichner abgab, seit er von seiner Krankheit erfahren hatte: die Liebeserklärung an die Literatur namens Prinz Hamlet, die Fragment gebliebene gezeichnete Liebeserklärung ans Theater namens Der Höllenhund, die Liebeserklärung an Leben und Liebe namens Vollmond. Und das ist nur das, was dem Tod abgetrotzt wurde. Dem Leben hatte Waechter in den unbeschwerten Jahren zuvor noch unendlich viel mehr abgelauscht. Seine Bilder sind trotzdem nicht selten kunterbunt und immer federleicht.

»Federleicht« aber heißt nicht leichtgewichtig, und selbst die Feder ist eine andere, als die Metapher meint. Die Feder, die wir meinen, ist aus Stahl, doch Waechter entlockte dem Schwermetall einen Tintenschwung, der seinesgleichen nicht hat. Er war unfehlbar mit der Feder. Und mit der Schere. Und mit dem Buntstift. Und deshalb sei daran erinnert, dass jenes Kinderbuch, das 1975 ausgezeichnet wurde – was nicht vom Fernsehen gewürdigt worden war –, den schönen Titel trug: Wir können noch viel zusammen machen. Wenn es ein Lebensmotto des Künstlers F.K. Waechter gegeben hat, dann gewiss dieses, denn seine Fantasie war so unerschöpflich wie seine Kunstfertigkeit, und diese Dreifaltigkeit aus Waechter, Geist und Kunst hätte auch ein achtes und neuntes Lebensjahrzehnt problemlos gefüllt mit Bildern und Büchern.

Man mag nicht glauben, dass ihm jemals etwas schwergefallen ist, diesem Federleichten. Eckhard Henscheid, zweifellos ein denkbar objektiver Kritiker, der 1975 allerdings auch in die Bernsteinsche Falle ging und eine Würdigung Waechters mit der »brummenden Torheit« begann, dem Gewürdigten beim Fußballspielen zuzuspinxen, erkannte beim damals gerade frisch verkündeten Kinderbuch-Preisträger »Witz, Grazie und Eleganz«, die »keine verwegenere Assoziation als die mit Mozart« zuließen.

Waechter als der Mozart Henscheids? Größere Ehre war dem »Wohngemeinschaftler aus dem Bornwiesenweg«, wie der Freund ihn in seinem Beitrag für das Lokalblatt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung apostrophierte, wohl zuvor nicht widerfahren. Und später auch nicht, denn der warme Händedruck, den Walter Scheel ihm am 3. November 1975 geben würde, war für Waechter, wie wir wissen, bereits im Vorfeld Grund zur Heiterkeit. Wer von Henscheid gelobt wird, braucht doch keinen Präsidenten mehr, um sich seines Könnens versichern zu lassen!

Gemeinsam mit dem fünf Jahre zuvor erschienenen Anti-Struwwelpeter war Wir können noch viel zusammen machen Waechters Durchbruch beim großen Publikum, das den satirischen Zeichner nie gekannt hatte – insofern eine frappierende Parallele zu anderen großen komischen Künstlern wie Wilhelm Busch oder Lyonel Feininger, deren populärste Arbeiten so sehr die öffentliche Wahrnehmung ihres Werks geprägt haben, dass die früheren Karikaturistenkarrieren darüber schlichtweg vergessen wurden. Über Max und Moritz etwa lachen alle noch, aber wer kennte die grandiose Busch-Zeichnung eines Neugierigen beim Barbier, der, vom Lärm auf der Straße mächtig angezogen, vor der Zeit aus dem Sessel aufspringt und vom Rasiermesser einen Kopfkürzer gemacht wird? Oder wer kennte noch Feiningers Kin-der-Kids? Und nun stelle man sich das vor: ein Gespräch über F.K. Waechter ohne Verweise auf Sauhaufen oder Eulenschinder, ohne namentlich bekannte Käsekuchenliebhaber oder den König der Eichhörnchen.

Aber soweit ist es dankenswerterweise nicht gekommen, denn die Gründung von Titanic 1979 und die darin von Beginn an etablierte Rubrik des Stillen Blattes haben genauso dazu beigetragen, dass der Zeichner gegenüber dem Illustrator nicht ins Hintertreffen geriet, wie Waechters Arbeiten für die Wochenzeitung DIE ZEIT oder auch noch – ein schmales Ruhmesblatt für meine eigene Zeitung und kaum geeignet, die große Blöße zu bedecken, die einige meiner Vorgänger sich im Umgang mit dem Werk des Künstlers gegeben hatten – seine knapp mehr als vierzig Schweine, die er 1998/99 für das dann eingestellte F.A.Z.-Magazin als Bilder zur Gastronomiekolumne von Klaus Trebes gezeichnet hat.

Damit sind wir aber leider wieder bei jenem Zeitraum, den man wider Willen mit »letzte Jahre« betiteln muss. Die Frankfurter Ausstellung zum siebzigsten Geburtstag F.K. Waechters hätte ihn auf der Höhe seiner Kunst erleben sollen, weil er doch auch für sich das anstrebte, was er über sein ideales Publikum sagte: »Ich schreibe und zeichne für alle, die mal fünf waren, noch Erinnerungen daran haben und gern neunundneunzig werden wollen.« Weiß Gott, was hätte ich es ihm gegönnt! Dann hätten wir jetzt nicht die Bilder hier in Hannover, aber dafür noch die Ausstellungen zum Achtzigsten, Neunzigsten und zumindest die Vorbereitungen zur Hundertjahresjubelfeier – wo auch immer- vor uns und einen Haufen Zeichnungen aus angeblich letzten, aber dann immer wieder zu vorletzten revidierten Jahren.

Vor zwölf Jahren, an der Schwelle zu jenen nun leider doch endgültig letzten, hatte Waechter gerade das Bilderbuch Da bin ich veröffentlicht und arbeitete bereits am Roten Wolf. Beides sind illustrierte Erzählungen, die neue Maßstäbe gesetzt haben. Aber der Gipfel des Waechterschen Bilderbuchschaffens wurde für mich erst erreicht, als er sterbenskrank war und sich dennoch zwei unglaubliche Leistungen abrang: Vollmond und Prinz Hamlet. Das erste Buch eine Lebenserklärung des Todkranken, die das Persönlichste ist, was er gezeichnet hat; das zweite ein Totentanz des Lebensgierigen, der ein Panorama des Menschlichen, Unzumenschlichen bietet. So wurde noch einmal jener Schaffensteil, der Waechter beim großen Publikum bekannt gemacht hat, gekrönt.

Werfen wir also zum Abschluss einen näheren Blick auf das, was, obzwar populär, doch rasch als Kinderkram abgetan wird; auf jene Geschichte also, die die großen künstlerischen Lieben des F.K. Waechter aufs Schönste verbindet: Aus der Neigung zu Zeichnung, Bilderbuch und Theater entsteht Prinz Hamlet.

Wieviel davon ist Shakespeare, wieviel Waechter? Die Frage lässt sich mit dem Verweis auf zwei andere Fragen beantworten – jene Fragen, mit denen Hamlet, das Drama, und Prinz Hamlet, das Bilderbuch, beginnen. »Who’s there?« fragt bei Shakespeare der Wache schiebende Barnardo, und fürwahr, das ist hier die Frage: Wer denn das ist. Dieser Hamlet tritt auf die Bühne als ein Held, der nichts Heldenhaftes mehr hat, kein herrlicher Dulder, sondern ein dämlicher Zögerer. Das hatte die Welt noch nicht gesehen, schon gar nicht die Weltliteratur. Doch fortan war Hamlet ihr liebster Gegenstand, und nichts an ihm blieb unbekannt. Deshalb leitet bei Waechter eine andere Frage das Geschehen ein: »Kasper, was hat er?« fragt Hamlets Teddybär sein Mitspielzeug. Wir alle wissen und der Theatermann F.K. Waechter weiß es noch besser, wer Hamlet ist. Doch was diesen wohl vertrauten jungen Mann nun umtreibt, das ist hier die Frage.

Die Fragen zwischen Bär und Kasper sind der Antrieb des Waechterschen Bilderdramas in sechzig Aufzügen, die bis zu jener Szene führen, aus der heraus Ophelia ins Wasser geht. »Was macht sie?« fragt da noch einmal der Bär, und er steht dabei seinem Besitzer Hamlet gegenüber, der über dem Totenkopf, der in Shakespeares Stück erst einen Akt später zum wichtigen Requisit wird, grübelnd im Kerker hocken bleibt, aus dem Ophelia ihn retten wollte. Was macht sie also, als der Geliebte ihr nicht folgt? »Du siehst’s doch, sie tanzt aus dem Turm«, sagt Kasper. »Warum?« fragt der Teddybär. »Sie hat den Verstand verloren. Jetzt läuft sie ihm nach.« Dieser Satz ist eines Shakespeares würdig, und wie die tiefsten Einsichten in dessen Dramen stammt auch die Waechtersche Erkenntnis aus dem Munde eines Narren, des Kasper.

Das haben die beiden Hamlet-Verfasser gemein: die Achtung vor den Narren. In Prinz Hamlet ist das große Vorbild nur die Folie, vor der sich das menschliche Drama abspielt, dessen Akteure ein Bär und ein Kasper sind. Und ein dritter Narr gesellt sich ihnen zu: F.K. Waechter selbst. Seine Stimme ist es, die die Überschriften spricht, die jedem der sechzig Blätter beigegeben sind. Es sind meist Regieanweisungen, Überleitungen, Einführungen in die einzelnen Motive, doch einmal stellt auch Waechters Stimme eine Frage: »Wo nimmt ein Bär so viele Fragen her?« Und damit leitet er den schönsten, weil melancholischsten Dialog ein, den das Buch zu bieten hat: »Und Hamlets Mädchen?« – »Wird traurig sein. Wird ihn vergessen müssen.« – »Das können Mädchen?«

Und Waechters Leser? Wird traurig sein. Wird ihn vergessen müssen. Das können Leser? Natürlich nicht, genauso wenig wie Ophelia es kann. Wie könnte man jemals den vergessen, der einem tausend Bilder in den Kopf gesetzt hat – mehr als jede Ausstellung uns bieten kann. Und ganz am Schluss auch noch das Bild eines Zeichners, der nicht geraucht und nicht geschlemmt hat, der sportlich war und freundlich, und dem die Welt dann doch die Lunge nicht gegönnt hat. Das war ein schlechter Scherz von ihr. Wen wird es wundern, dass der Mann, der lebenslang die besten machte, ihr daraufhin den Rücken gekehrt hat?